Brandzeichen

Teilen statt besitzen - das Phänomen

Im vergangenen Jahr stellten die Macher der Cebit die weltgrößte Computermesse unter das Leitthema „Shareconomy“. Die elegante Verschmelzung der beiden englischen Wörter „share“ und „economy“ drückt aus, dass Inhalte und Wissen zunehmend zum wirtschaftlichen Nutzen aller geteilt werden. Das amerikanische Time Magazine zählte das Teilen als neue Konsumform bereits 2011 zu den zehn Ideen, die die Welt verändern könnten. Doch was ist dran an dieser Entwicklung? Gibt es sie wirklich? Findet sie nur im Netz statt? Oder hat sie tatsächlich die gesellschaftliche Mitte erreicht? Und was bedeutet das für die mittelständische Wirtschaft? BRANDZEICHEN ist auf Spurensuche gegangen.

Lea Heuchtkötter
2024-01-26
WCG GmbH & Co.KG

Erinnern Sie sich noch an Napster? Die 1999 gegründete Musiktauschbörse setzte eine Revolution in Gang, indem sie kostenlos MP3 Dateien über das Internet anbot. Dies bereitete den weltweit ca. 80 Millionen Nutzern große Freude – und der Musikindustrie verheerende Umsatzeinbußen. Den zahlreichen Klagen von Musikern und Plattenfirmen konnte Napster nicht lange standhalten: Bereits im Februar 2001 war die Tauschbörse Geschichte.

Anfang des Jahrtausends war die Old Economy noch nicht bereit zu teilen. Zehn Jahre später hat sich dies geändert, und Napster-Gründer Sean Parker ist einer der Profiteure dieser Entwicklung. Als Miteigentümer der Online-Musikbibliothek Spotify verbreitet er wieder Musik, diesmal allerdings legal und mit dem Segen von Künstlern und Plattenfirmen. Für den Nutzer ist Spotify zunächst kostenlos. Sechs Monate lang darf er über die Plattform so viel Musik hören, wie er möchte, danach maximal 10 Stunden im Monat. Wer länger hören möchte, zahlt 4,99 Euro im Monat. Damit ist Spotify zwar nicht kostenlos, aber extrem günstig. Auch in Apples iTunes Store kann der Nutzer Musik einkaufen, wenn auch deutlich teurer.

Und die Musikindustrie? Sie scheint sich mit der Entwicklung abgefunden zu haben, da sie zwar moderat, aber immerhin, mitverdient: Die Branche macht bereits ein Drittel ihres Umsatzes im Netz, dank iTunes, Spotify, Deezer oder Juke. Sie sieht das Internet offensichtlich nicht mehr als Bedrohung sondern als Chance. Anders ausgedrückt: Sie wollte nicht mehr Teil des Problems sondern Teil der Lösung sein. Auf einem ähnlichen Weg befinden sich derzeit die Buchverlage, welche über e-bookstores und eben auch iTunes mitverdienen.

Das Teilen von Wissen

Sind diese Entwicklungen nun ein Beleg dafür, dass es in unserer Gesellschaft einen Trend weg vom Besitz des Einzelnen hin zum Gemeingut gäbe? Oder zeigen sie lediglich, dass die Möglichkeiten, welche das Internet bietet, althergebrachte Geschäftsmodelle gefährden? Schürft man nach dem ersten wirklichen „Sharing“-Ansatz, den das Internet ermöglichte, stößt man unweigerlich auf Linux. Im Jahr 1992 stellte der Finne Linus Thorvalds das von ihm entwickelte Betriebssystem anderen Entwicklern im Netz zur Verfügung, um ihnen die Chance zu geben, es gemeinsam zu verbessern. Die meisten anderen bekannten Open Source Projekte (dt. quelloffen) waren aber weder ultimativem Entwicklergeist noch etwa gestiegenem Altruismus geschuldet. Viel mehr ist Open Source oftmals die Endlösung wirtschaftlich erfolgloser Produkte. Deren Liste ist lang: Sie reicht von Mozilla Firefox über Apache bis hin zu Google Chrome.

Und dennoch: Spätestens seit dem Jahr 2000, als Jimmy Wales und Larry Sanger ihre Online-Enzyklopädie Nupedia gründeten, kam der Stein des Teilens im Internet ins Rollen. Über so genannte Wikis (wiki = hawaiianisch für schnell) konnten Nutzer selbst Inhalte einstellen und ändern. Die Bereitschaft, hierüber freiwillig und unentgeltlich Wissen zu teilen, war und ist extrem groß: Heute gehört Wikipedia – wie das Online-Nachschlagewerk seit 2001 heißt – zu den zehn meist aufgerufenen Websites der Welt. Inhalt steht in 280 Sprachen zur Verfügung. Auch die Sozialen Netzwerke tragen seit einigen Jahren dazu bei, den „Sharing“-Gedanken weiter zu verbreiten. Bereitwillig teilen wir Informationen, Bilder, Audio- oder Videostreams über facebook, twitter, youtube & Co. Einen direkten wirtschaftlichen Nutzen können jedoch die Wenigsten daraus ziehen.

Ökonomisches Teilen

Aber es gibt sie tatsächlich: Modelle des Teilens zum beiderseitigen ökonomischen Nutzen. Zum Beispiel Car2go. Als erster Automobilist stieg Daimler Benz vor fünf Jahren ins „Sharing“-Geschäft ein. Mittlerweile leihen sich mehr als 350.000 registrierte Kunden in 18 Innenstädten Europas und Nordamerikas regelmäßig einen Kleinstwagen der Marke smart. Über die Smartphone-App oder das Internet orten sie den nächstgeparkten freien  Wagen und stellen ihn nach der Nutzung im Stadtbereich dort ab, wo es für sie gerade günstig ist. Abgerechnet wird über Bankeinzug – und zwar im Minutentakt. Die Minute kostet in der Regel 29 Cent inklusive Kraftstoff und Parkgebühren. Auch BMW und Citroën bieten mittlerweile mit DriveNow bzw. Multicity das stationsungebundene Carsharing an.

Das Angebot ist im besten Sinne ökonomisch: Es bringt dem Einen Geld und spart es dem Anderen, während es zudem auch noch hoch effektiv und sinnvoll ist. In Zeiten verstopfter Innenstädte, Parkplatzmangels und hoher Parkgebühren erscheint es vielen nicht mehr sinnvoll, ein Auto zu besitzen. Dem gleichen Prinzip folgen Plattformen wie Tamyca. Das Kürzel steht für „Take my car“ und bietet Privatpersonen die Möglichkeit, ein Auto in Privatbesitz zu leihen bzw. ihren Pkw anderen zur Mitbenutzung anzubieten. Über eine spezielle Carsharing Versicherung stellt Tamyca sicher, dass es für keine Seite zu Nachteilen kommt.

Der Faktor Internet

Im Netz finden sich zahlreiche ähnliche Angebote: Über bootschaft.net kommen Bootseigner und Segler zueinander. Auf airbnb.de Wohnungseigentümer und Unterkunftssucher. Über das Portal Exchange-me werden Dienstleistungen getauscht, und foodsharing.de sorgt dafür, dass Lebensmittel nicht weggeworfen sondern geteilt werden. Whyownit.com hat – wie der Name es bereits sagt – das Prinzip des Teilens statt Besitzens zum Credo erklärt. Hier wird so gut wie alles zum Verleih angeboten: Von der Stichsäge über die E-Gitarre bis hin zur Fahrradpumpe. Laut einer Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom von 2012 teilen 17 Prozent der deutschen Internetnutzer Gegenstände oder ihre Wohnung über Online-Plattformen. Das sind immerhin 9 Millionen Menschen. Und 85 Prozent können sich das grundsätzlich vorstellen.

Lässt sich nun aus all diesem eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz weg vom Besitzen hin zum Teilen ableiten? Fakt ist: Formen des Teilens und des gemeinsamen Verbrauchs gab es schon immer: Menschen organisierten Tauschbörsen, Fahrgemeinschaften, Secondhandläden, Wohngemeinschaften, Büchereien und vieles andere mehr. „Den Unterschied macht das Internet“, sagt Michael Kuhndt. Der Geschäftsführer des Collaboration Centre on Sustainable Consumption and Production in Wuppertal ist Experte für nachhaltigen Konsum. „Wir haben ein Werkzeug entwickelt, das Wissen in nie gekannter Geschwindigkeit verbreitet. Und jetzt entwickeln wir den Gedanken des Mit-Teilens konsequent weiter. Das ist Evolution.“

Evolution hat immer schon unter Druck von Außen stattgefunden. Ändern sich die äußeren Verhältnisse, passen sich Mensch, Tier und Pflanze diesen an. Die Wirtschafts- und Finanzkrise war es wohl, die dem Menschen aufgezeigt hat, dass die Habgier das Grundübel des Kapitalismus ist. Auch Michael Kuhndt resümiert: „Wir müssen uns Gedanken über ein anderes Wirtschaften machen. Jeder Deutsche verbraucht, statistisch gesehen, jährlich bis zu 60 Tonnen Rohstoffe. Würden alle Menschen so konsumieren, benötigten wir drei Planeten.“ Und das ist das wirklich Neue an der Share Economy: Ein völlig verändertes Nachfrageverhalten, nämlich die gemeinsame, temporäre Inanspruchnahme („Collaborative Consumption“) von etwas und in der Folge für viele der Verzicht auf eigene Anschaffung. Wird dies zum Massenphänomen, ist es das Ende des Materialismus.

Reaktionen der Wirtschaft

In einer postmaterialistischen Konsumwelt ist Besitz nicht mehr relevant. Darauf müssen sich die Unternehmen der Old Economy einstellen. Denn die Entwicklung gefährdet ihre Geschäftsmodelle. Umso mehr, als sich mit den „digital natives“ – also denjenigen, die mit den digitalen Technologien aufgewachsen sind – die Haltung in der Breite ändert. Musik- und Automobilindustrie haben es vorgemacht, Unternehmen aus anderen Bereichen folgen. So hat Obi als Reaktion auf den Trend zum Online-Werkzeugtausch mit dem Angebot „Mietprofi“ reagiert. In über 160 Filialen können sich Kunden die Geräte mieten. So geht die Zielgruppe für Obi nicht verloren: Wenn die Kunden zum Ausleihen in die Filiale kommen, kaufen sie nicht selten Zubehör und andere Artikel der Baumarktkette.

Die britische Kaufhauskette Marks & Spencer reagierte auf den wachsenden Online-Kleidertausch mit einer ähnlichen Strategie: Sie nutzt das neue Konsumgewissen ihrer Kunden aus, indem sie diese auffordert, beim Kauf alte Kleidung abzugeben, die von der Hilfsorganisation Oxfam recycelt wird. Der Dank: ein Fünf-Pfund Gutschein der Filiale. Beispiele wie diese zeigen, dass der Schlüssel für die Old Economy in intelligenten Services mit Mehrwert liegt.

Für die Unternehmen heißt es aber nicht nur „Augen aufhalten“ nach Sharing-Tendenzen, die ihre Geschäfte ins Wanken bringen könnten. Auch sie selbst können sich das Teilen zunutze machen. Viele mittelständische Unternehmen und deren Verbände tun dies bereits in eigenen Foren. Hier wird Kunden, Lieferanten und internen wie externen Experten die Möglichkeit des Wissens- und Erfahrungsaustauschs geboten, woraus nicht selten Produktweiterentwicklungen oder gar neue Geschäftsideen entstehen.

Zudem spricht nichts gegen „Collaborative Consumption“ der Unternehmen. Warum sollten beispielsweise nicht mehrere stahlverarbeitende Unternehmen, die in einer Region ansässig sind, ihren Einkauf bündeln? Oder ihren Mitarbeitern gemeinsame Fortbildungen anbieten? Einen gemeinsamen Fuhrpark nutzen? Potenziale weg vom Besitz hin zur gemeinsamen Nutzung gibt es auch in der Wirtschaft genug. Vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis diese gehoben werden.

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